Das Eichenblatt

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Ein Eichenblatt klebt hier am Fenster,

verrunzelt schön, man ahnt noch das Grün -

denkt man doch fast, man sieht Gespenster,

doch weit und breit keine Eichen blühen.

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Wo mag es wohl her gekommen sein,

auf seiner langen, weiten Reise -

gerissen vom Sturm und weg von daheim,

klebt es jetzt hier und wispert leise.

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Es ist weit geflogen, der Freiheit gefolgt,

im Sonnenschein hell aufgeschimmert -

die Gefangenschaft hat es eingeholt,

ich höre, wie es leise wimmert.

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Du hast ein Stück Freiheit genossen mein Blatt,

verschließ´ das Gefühl sehr fest in dir drin -

der Kerker dich jetzt eingeholt hat,

du kannst ihm nicht mehr entflieh´n.

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Wir Menschen so plump an die Schwerkraft gebunden,

haben der Gedankenkraft doch so viel -

mit ihr kann man Fesseln überwinden,

erreichen dann doch ein fernes Ziel!

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(Elisabeth Rosing)